Alice im Hinterholz

Nach getaner Arbeit wollte ich mir gestern einen abendfüllenden Spielfilm mit heimwerkerlichem Touch gönnen, und durch Zufall erfuhr ich von der österreichischen Tragikkomödie „Hinterholz 8“. Video-on-demand ist eine tolle Erfindung, und im heimischen Fernseher gibt es sowohl Maxdome als auch Videoload als „Apps“, so dass man den Wunschfilm gegen eine Gebühr direkt auf dem TV anschauen kann.

Mit der Taste „Smart“ öffnete ich das Menü und wählte die App „Videoload“ aus, die den Film im Programm hat. Wie immer, wenn man irgendwas auswählt oder anklickt, sei es am Fernseher oder Computer, dreht sich ein Wartekreis. Wie viele Minuten meines Lebens ich wohl schon vergeudet habe, indem ich auf sich drehende Wartekreise starre? Früher gab es die animierte Sanduhr, die war gefühlt irgendwie seltener da.

Nach langem Kreisdrehen startete die App und ich musste einen vierstelligen Code eingeben, der das Login-Verfahren erleichtertn soll. Ich gab also den Code ein, die App antwortete mit „Fehler irgendwas dingsbums“ und fror ein. Nur durch aus- und wieder einschalten des gesamten Gerätes konnte ich sie wieder starten und landete prompt auf dem Login-Screen des Grauens.

In diesem Login-Screen muss man seine eMail-Adresse und ein kryptisches Passwort eingeben. Man darf ja mittlerweile kein einfaches Passwort mehr haben, weil man damit gar nicht durchkommt und sich beim Aussuchen des Passwortes anhören muss: „Achtung! Niederige Sicherheitsstufe! Das Passwort muss mindestens acht Zahlen, vier Sonderzeichen und Groß/Kleinschreibung enthalten sowie eine Metapher, ein Oxymoron und eine Anlehnung an die griechische Sagenwelt!“

Mit den Cursortasten der Fernbedienung wackelte ich mich also durch das Buchstabenmenü, um die 22stellige eMail-Adresse einzugeben. Meine Frau hatte mittlerweile die Lust an dem Film verloren (nicht, dass sie sich besonders auf einen Heimwerkerfilm gefreut hätte…), weil die bisherige Prozedur bereits geraume Zeit gedauert hatte.

Welche eMail-Adresse war denn nochmal die richtige? Mit welcher hatte ich mich damals bei Videoload angemeldet? Meine aktuelle? Oder die alte von Arcor? Und welches war das Passwort? Musste es hier Großbuchstaben enthalten oder Zahlen oder beides? Ich schwor mir, bei nächster Gelegenheit die Login-Daten auf die Rückseite der Fernbedienung zu gravieren und schloss nach zwei ungültigen Versuchen Videoload, um zu Maxdome zu wechseln.

Beim Aufruf von Maxdome, kam, wer hätte das gedacht, der Wartekreis und die Information „Aktualisiere“. Nach zehn Minuten erfolglosem Aktualisieren und dem Neustart der Glotze wusste ich, Maxdome wird mir heute keine große Hilfe mehr sein. Meine Frau ruft von nebenan, in der Zeit hätte ich schon zu einer Videothek fahren können.

Ich schnappe mir den Laptop und klicke bei Videoload auf „Passwort vergessen“. Die Seite antwortet, ich solle den Sicherheitscode eingeben, den ich PER POST erhalten hätte. WAS? Ich wartete kurz darauf, ob ein berittener Bote die Straße hinunterkäme und mir ein Pergament mit dem Sicherheitscode überreicht.

Beim nächsten Versuch fragte man mich nach dem Geburtsnamen meiner Mutter, schön, der war dann tatsächlich korrekt, wahrscheinlich, weil Videoload meine Mutter nicht kennt und diese Information ausnahmsweise nicht anzweifelt. Nach der mütterlichen Eingabe erhielt ich nun einen Sicherheitscode per eMail, den ich wiederum eingab, um dann ein neues hochsicheres Passwort mit Sonderzeichen, mathematischen Symbolen und mindestens zwei kyrillischen Schriftzeichen einzurichten.

Dieses Passwort gab ich nun am Fernseher ein, und tatsächlich, ich hatte, den Tränen nahe, Zugang zu den 16.000 Filmen bei Videoload!

Nun, genauer gesagt, hatte ich nur Zugang zu Alice im Wunderland. Denn ich konnte nur „Meine Filme“ auswählen, und Alice hatte ich letztes Jahr mal gekauft, bezahlt, angeschaut und bin dann nach 30 Minuten eingeschlafen, wahrscheinlich auch, weil die Login-Prozedur so anstrengend war.

Ich konnte tatsächlich kein anderes Menü anwählen, nur Alice, Alice, Alice, und habe dann am Laptop nach dem gewünschten Film gesucht, ihn da gefunden und ihn für 1,99 € in den Warenkorb gelegt. Jetzt nur noch mit Paypal bezahlen und…eine eMail und ein Passwort eingeben. Welche eMail war das bei Paypal denn noch gleich? Ah, das Passwort habe ich oben im Arbeitszimmer im PC gespeichert! Nur kurz hochflitzen und nachschauen. Als ich wieder unten war, wurde der Vorgang zwischenzeitlich aus Zeitgründen abgebrochen.

Allmählich wurde ich ein klein wenig genervt. Doppelte Sicherheit hier, extra Passwort da! Selbst wenn ein Hacker meinen Account knackt, ist das einzige, was er damit tun kann, ALICE IM WUNDERLAND GUCKEN !!! Soll er doch Alice gucken! Bitteschön! Darf ich dafür ein Passwort haben, das ich mir merken kann? Hacker lächeln wahrscheinlich sowieso nur müde über mein ach so sicheres Passwort! Den einzigen, den ich davon abhalte, in meinen Account zu gelangen, BIN ICH SELBER!!! Meinen Frau ist mittlerweile ins Bett gegangen.

Ich konnte den Film dann erfolgreich kaufen und habe ihn auch (nach Neustart der App am TV, versteht sich) in „Meine Filme“ gefunden. Nun PLAY gedrückt, und nun heisst es: Durchhalten. Denn wenn man zwischendurch Pipi muss, auf Pause drückt und dann wieder Starten will (das ist aber auch wirklich eine sehr ungewöhnliche Anforderung, welcher Benutzer möchte schon einen Film anhalten?!), dreht sich der Kreis, es hakt, stürzt ab, man muss wieder den Login mit den Pfeiltasten eingeben, und kann den Film dann wieder ganz von vorne gucken.

l9581
Ach, wenn erstmal ein bißchen Farbe drauf ist … ?

Der Film selber übrigens war tatsächlich ganz gut, wenn man in der Situation ist, schon ein Haus zu haben. Leuten, die vor dem Kauf stehen, würde ich eher davon abraten, denn „Hinterholz 8“ ist wirklich der bauliche Albtraum.

Erwähnte ich, dass die Dialoge komplett österreichisch sind? Das wienerische verstehe ich ja noch ganz gut, aber tiefste Österreich-Mundart? Keine Chance. Untertitel gab es auch nicht. Ich habe also ungefähr nur ein Drittel der Dialoge verstanden.

Was für ein schöner Fernsehabend. Es ist leichter, Amazon mit meiner Kreditkarte leerzukaufen als einen Film bei Videoload zu schauen.

Und Maxdome?

Aktualisiert immer noch.

 

Ein Gedanke zu „Alice im Hinterholz

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